Überlegungen von Simon Matzerath
Nach den Ausgrabungen an der Burg Ouren 2014 bedeuten die beiden Grabungskampagnen 2020/2021 an der Burg St. Vith (eine dritte Kampagne soll folgen) wieder ein substanzielles denkmalpflegerisches Projekt für Ostbelgien: Ein wichtiges Signal auch über Ostbelgien hinaus für einen politisch gewollten Schutz von Kulturerbe. Die Erhaltung und die Erforschung der Burg St. Vith bilden einen Meilenstein auf dem Weg zu einer weiteren Professionalisierung der Denkmalpflege in der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Es entsteht ein Bewusstsein für die Bedeutung archäologischer Funde und Befunde.
Im Falle von St. Vith als wirtschaftlicher Zentralort in einer touristisch frequentierten Region kann eine Stadtgeschichte Teil der Außenkommunikation sein und das Profil der Stadt, die „Marke“, mit definieren. Zweifelsohne wird sich die Burg St. Vith, nachdem sie am 6. Mai 2021 endgültig unter Denkmalschutz gestellt wurde, bald zu einem neuen Wahrzeichen der Stadt entwickeln. Eine Aufarbeitung und Präsentation von Geschichte trägt prinzipiell zu einer stärkeren Verwurzelung und Identifikation der Bevölkerung bei. Die Kultur mit all ihren Facetten steigert die Lebensqualität und nicht zuletzt das touristische Erlebnis.
Ein Blick zurück
Bei allen Herausforderungen, Unwägbarkeiten und Unsicherheiten, die ein Projekt wie das zur wiederentdeckten Burg St. Vith mit sich bringt, erwies sich der Zeitpunkt zumindest als günstig: Regierung und Ministerium der Deutschsprachigen Gemeinschaft haben den aus der Bevölkerung angestoßenen Prozess begleitet und die Grabungskampagnen organisiert und finanziert. In vergleichsweise kurzer Zeit hatte die beauftragte Firma Goldschmidt Archäologie und Denkmalpflege große Bereiche freilegen können – wobei die methodische Vorgehensweise und die Qualität der vorliegenden Dokumentation als besonders gut zu bewerten sind. Die Stadt St. Vith hat sich dem Anliegen der zunächst von 12 Personen im Juli 2020 gegründeten Bürgerinitiative zum Schutz und Erhalt des archäologischen Erbes der Stadt St. Vith1 angeschlossen und die Burg zu einem prioritären Thema gemacht.
Schnell wurden die Tragweite und die Bedeutung für das Selbstverständnis der Region erkannt und die Notwendigkeit gesehen, in einem größeren Rahmen die archäologischen Befunde und die Geschichte der Burg aufzuarbeiten.2 Die gemeinsam mit dem Geschichtsverein Zwischen Venn und Schneifel von der Universität Luxemburg (C²DH) organisierte Fachtagung am 25. März 2021 war somit grundlegend für die weitere inhaltliche Ausrichtung. Es hat sich gezeigt, dass der bestehende Forschungsstand Spielräume in den Interpretationen offenbart und auch die Ausgrabungen weitergehende Fragen aufgeworfen haben.
Dieser Beitrag ist ein Positionspapier, das eigene Beiträge der Podiumsdiskussion am Ende der Fachtagung zusammenfasst und strukturiert. Impulse können dabei von meiner Seite aus der Perspektive eines Archäologen und Mitarbeiters des Historischen Museums Saar gegeben werden, der privat mit St. Vith verbunden ist und den Verlauf der Grabungen eng miterlebt hat. Im Historischen Museum Saar am Saarbrücker Schlossplatz stehen wir aktuell selbst vor der Herausforderung, die Burg Saarbrücken für Besucher*innen weiter zu erschließen, zu erforschen und didaktisch aufzubereiten.
Ausgehend von einer Zusammenarbeit bei einem grenzüberschreitenden Ausstellungs- und Forschungsprojekt3 entwickelte sich der Vorschlag an die Stadt St. Vith, den renommierten Burgenforscher Dr. Joachim Zeune in die weiteren konzeptionellen Planungen und Arbeitsschritte einzubinden. Das laufende Projekt wird auch durch die Rolle Joachim Zeunes als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Burgenvereinigung in die internationale Burgenforschung eingeführt. Zuvor schon hatte der Bamberger Professor Rainer Schreg, Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, einen Hinweis aufgegriffen und in seinem Blog Archaeologik mit einer Stellungnahme zum Anliegen der Bürgerinitiative hunderte Fachkolleg*innen zur Unterschrift motiviert, wodurch eine internationale Wahrnehmung und Fürsprache für eine Unterschutzstellung erreicht wurde.4 Nicht zuletzt hat die Bündelung von Sachverstand und die beispielhaft sachorientierte Zusammenarbeit aller Beteiligten dem Projekt medial und grenzüberschreitend zu einer starken Anerkennung verholfen.5
Abb. 01: Die ersten Maueransätze der St.Vither Burg tauchten schon kurz nach Beginn der ersten Grabung im Juni 2020 aus dem Boden auf. (Foto: ZVS-Archiv)
Inhaltliche Herausforderungen und Aufgaben
Im Umgang mit der Burg St. Vith ist durch die Jahrhunderte ihres Bestehens zunächst einmal eine Mehrphasigkeit mit Umbau- und Ausbauphasen vorauszusetzen. Es wird damit schwierig, von „DER“ Burg zu sprechen, wird man im weiteren Verlauf der Forschungen doch verschiedene Zustände und Nachnutzungen der Anlage unterscheiden müssen. Daraus ergeben sich zweierlei Konsequenzen:
1. Für eine touristische Inwertsetzung muss festgelegt werden, welchen Zustand bzw. welche Zustände man zeigen möchte. Letztlich wird es aus denkmalpflegerischer Perspektive kaum sinnvoll erscheinen, nur eine Bauphase erhalten zu wollen. Fast jede touristisch zugängliche Burg ist immer das Abbild eines stetigen Umbaus, von Erweiterungen und/oder diverser Nachnutzungen. Dies gilt generell und aber beispielhaft auch für die luxemburgische Burg Vianden oder die von St. Vith nur 9,5 km entfernte Burg Reuland.6 Die andernorts sichtbaren romantisierenden und historistischen Umformungen und Rekonstruktionen des 19. Jahrhunderts7 (vgl. beispielhaft: Burg Raeren) oder später durchgeführte Ergänzungs- und Wiederaufbaumaßnahmen des 20. Jahrhunderts sind für die Burg St. Vith auszuschließen, da die Burg nach ihrer Zerstörung 1689 anscheinend nicht mehr saniert wurde. Zwingend wird über den Umgang mit den erhaltenen Resten des Hauses derer von Monschaw im Areal der Burg St. Vith zu diskutieren sein, das (in Teilen) zudem über älteren Fundamenten stehen könnte.
2. Das Narrativ, also die inhaltliche Form der zukünftigen Geschichtsvermittlung an der Burg St. Vith, bedarf einer belastbaren wissenschaftlichen Grundlage. Welche Geschichte zu konkret welcher Burg (welchen Bauzuständen/-phasen) muss und kann man erzählen? In mehrfacher Hinsicht fehlen dazu aktuell entscheidende Informationen, zumal durch die bisherigen Ausgrabungen nur ein Bruchteil der Burg bislang wirklich bekannt ist.
Zum Vergleich: Die Burg Saarbrücken wurde seit den 1930er Jahren immer wieder in Teilen ausgegraben, dennoch hat erst die jüngere Forschung entscheidende Fehldeutungen offenbart und völlig neue Perspektiven zugelassen.8 Eine Erkenntnis daraus, die so auch für viele andere Burgen gilt, ist das Missverhältnis zwischen den sich aus den erhaltenen Schriftquellen ablesbaren und den tatsächlich existierenden Bauphasen: Archäologie und Bauforschung belegen oft eine komplexere Baugeschichte, als sie durch historische Schriftquellen angedeutet wird.9
Die Baubefunde der Burg St. Vith eignen sich noch nicht für enge bautypologische Datierungen, sondern bedürfen einer naturwissenschaftlichen Absicherung, wenn man, was zu empfehlen ist, zunächst objektiv distanziert gegenüber dem wichtigen Fixdatum von „um 1350“ (vorausgesetzter Bau [oder eben Ausbau!] von Burg und/oder Stadtmauer) bleiben möchte. Auch wenn die freigelegten Mauern vom Ausgräber bislang nicht früher datiert werden, wird durch die „Kulturschichten 24 und 46“ zumindest eine Besiedlung am Standort vor der Mitte des 14. Jahrhunderts belegt.10
Abb. 02: Die dunkele Schicht wurde als frühere Kulturschicht gedeutet. (Aufnahme vom 27.10.2020 / ZVS-Archiv)
Relevant für diese Frage ist auch die Einordnung von älterer Keramik an der Sohle des Burggrabens.11 Für St. Vith werden die weiteren Untersuchungen zeigen, wie das Ensemble von Kirche und Burg – und als solches sollte es aufgrund der sicher nicht zufälligen Nachbarschaft gesehen werden – chronologisch zur Stadtmauer steht. Ein „Festes Haus“ oder eine Turmhügelburg als (kleinerer) Vorgängerbau zu den bislang dokumentierten Baubefunden der Burg ist bei aktuellem Grabungsstand weiterhin nicht auszuschließen. Im Saar-Lor-Lux-Raum ist die Frühzeit des Burgenbaus, im 10. bis 12. Jahrhundert, im Vergleich etwa zum Niederrhein, bislang kaum bekannt.12 Die Verteidigungs- und Legitimationsbauten der Herrschaft bzw. einer Herrschaftsvertretung (Verwaltung) im Ardennen- und Eifelraum stellen im selben Zeitraum weiterhin eine Herausforderung für die Forschung dar, zumal generell die Burgenlandschaft in den erhaltenen Schriftquellen vor dem Spätmittelalter nicht repräsentativ abgebildet wird.13
Die weiteren Ausgrabungen sollten somit ergebnisoffen angelegt sein und sich etwa durch die Analyse von Mörtel- und Kohlenstoffproben bei stratigrafischen und chronologischen Fragen auch naturwissenschaftlich absichern. Eine zentrale Bedeutung von Radiokohlenstoffdaten (14C) – welche für eine statistisch belastbare Aussage nicht als Einzelproben sondern als Messreihen vorliegen sollten – für die Definition von Bauphasen steht außer Zweifel.14
Aufgrund der topografischen Position auf bzw. an einem Höhenrücken kann man die Burg St. Vith meiner Einschätzung nach nicht – wie in der Fachtagung diskutiert – als Niederungsburg klassifizieren. Burg- und Stadtgraben werden mit ihrem Verlauf in Hanglage und in Anbetracht des wasserdurchlässigen Untergrundes (dem daraus resultierenden Absickern des Wassers) Trockengräben gewesen sein – jedenfalls werden sie kaum vollständig und ganzjährig Wasser geführt haben.
Ganz gezielt wäre zu empfehlen, nicht nur die Anschlüsse an die Stadtmauer und den Innenbereich der Burg weiter zu untersuchen, sondern auch den außen liegenden Graben systematisch bis zur Sohle freizulegen: Erst die Funde an der Grabensohle erlauben eine Datierung des Grabenalters (stratigrafischer terminus ante/ad quem). Für die kommende Grabungskampagne sollte, gerade auch wenn sie die Grabensohle notwendigerweise einschließt, über eine Entnahme archäobotanischer Proben nachgedacht werden, um nicht nur Abfälle im Burggraben analysieren zu können (Ernährung etc.), sondern auch die Möglichkeit zu erhalten, Rückschlüsse auf die frühere Landschaftsnutzung im Umfeld von St. Vith ziehen zu können.
Die heutigen benachbarten Grundstücke an der Bahnhofstraße schließen nach hinten (Nordosten) exakt mit der Burgmauer ab: Anscheinend orientieren sich die Flurstücke an der Dimension der Burg. Nach Nordwesten grenzt das Areal an den Parkplatz „An der Burg“ und die beiden Grundstücke Bahnhofstraße 1 und 3. In diesem Bereich sind archäologische Reste des Grabens, vielleicht sogar einer Vorburg, sicher aber der Stadtmauer und auch des Hauses Dhaem zu erwarten.
Abb. 03: Haus Dhaem (Foto: ZVS-Archiv).
Letzteres befand sich an der Bahnhofstraße, am Kopf der Teichstraße, war bis zur Bombardierung 1944 noch erhalten und entstand möglicherweise in der Nutzungszeit der Burg, spätestens aber kurz nach der Zerstörung der Burg 1689.15 Dass bei archäologischen Untersuchungen in St. Vith und speziell im Umfeld der ehemaligen Burg nicht nur herausragende Befunde, sondern auch außergewöhnliche Funde entdeckt werden können, belegen ältere Münzfunde oder eben, wie die aktuelle Wiederentdeckung zeigt, eine überlieferte Waffe.16 Nach vielen undokumentierten Entdeckungen und Beschädigungen der Stadtmauer wurden noch vor wenigen Jahren im Innenbereich der Burg durch Anwohner unterirdische Baubefunde beobachtet, wieder ohne denkmalpflegerische Kenntnisnahme. Ein Umdenken im Umgang mit dem archäologischen Archiv St. Viths hat gerade erst angefangen. Jetzt besteht die Chance, durch die Bündelung der Kompetenzen und Kräfte, die Burg St. Vith als Vorzeigeprojekt der ostbelgischen Denkmalpflege zu erforschen und touristisch zu erschließen.
Wie könnte es mit der Burg St. Vith weitergehen?
Letztlich ist jede Burganlage eine individuelle bauliche Konzeption und Anpassung an den konkreten Standort sowie zeitlichen und räumlichen Voraussetzungen unterworfen. Meiner Meinung nach kann es kein touristisches „Best-Practice-Beispiel“ geben, dass sich 1:1 auf St. Vith übertragen lässt. Jede touristisch erschlossene Burganlage wird von komplett unterschiedlichen Bedingungen eingerahmt, etwa dem Erhaltungszustand, der bestehenden Infrastruktur vor Ort, der vorhandenen touristischen Potenziale und Netzwerke im Umfeld, der Lage in der Landschaft bzw. innerhalb des heutigen Siedlungsgefüges etc.
Was in St. Vith fehlt, sind begehbare Räume der Burg, ein Gefühl von Burgleben an sich. Durch die umliegende Bebauung wird nie die ganze Burg baulich nachvollziehbar werden, sondern immer nur die teilweise freigelegten archäologischen Reste der Burgruine. Die Möglichkeiten einer touristischen Erschließung sind damit von Anfang an klar begrenzt, dennoch aber deutlich erkennbar.
Es entsteht für die von Freizeittouristen (etwa auch Rad- und Motorradfahrer, Wanderer) ohnehin besuchte Stadt St. Vith nun die Chance, jenseits des eher unscheinbaren Büchelturms, der kaum einen nennenswerten touristischen Mehrwert bringen konnte, mit der Burg eine historische Kultur in das Angebot der Stadt aufzunehmen. Neben den Veranstaltungen im Triangel, der hervorragenden Gastronomie und den vielseitigen Geschäften werden Besucher*innen mit der Burg eine qualitative Erweiterung des Angebotes erfahren, was sich positiv auf die Aufenthaltsdauer auswirkt. Hingegen wird die Burgruine St. Vith keinen primären Reiseanlass für potenzielle Besucher*innen aus größerer Entfernung darstellen. Sie wird also nicht unbedingt nennenswerte Zahlen neuer Touristen bringen, es sei denn, es würden bestimmte Aktionstage bzw. starke zusätzliche Angebote mit Bezug auf die Burg durchgeführt.
Besser oder weitgehend erhaltene Burgen etwa in der Eifel sind hier klar im Vorteil, in Ostbelgien wären etwa Reinhardstein oder die Burg Reuland zu nennen; in Luxemburg setzt Vianden mit weit über 150.000 Besucher*innen im Jahr alle Maßstäbe. Während in St. Vith der Verlauf der Stadtmauer immerhin im Straßenbild noch nachvollziehbar ist, kann in dem eine Stunde entfernten Bad Münstereifel die besterhaltene Stadtmauer in NRW auf eine Länge von 1,6 km abgegangen werden.
Ich stelle mir die Burg St. Vith in Zukunft eingebunden in einer angemessenen und thematisch passenden Parkanlage vor, die jenseits des Stadtparks (Millionenberg) am Büchelturm auf der anderen Seite der Hauptverkehrsader der Stadt (Hauptstraße) eine zweite kulturelle Naherholungsmöglichkeit bietet. Im Stadtbild werden damit visuelle Marker gesetzt, Geschichte wird für die Menschen als Teil ihrer regionalen Identität greifbar.
Der der Burg vorgelagerte Graben sollte meiner Meinung nach vollständig rekonstruiert werden, weil erst dadurch die erhaltenen Mauerbefunde im Kontrast und thronend hinter der tiefen Grabensohle einen Eindruck ihrer ursprünglichen Monumentalität zurückerhalten. Nachteil dabei ist die drastische Verkürzung der unbebauten Fläche vor der Burgruine, die zukünftig im Zusammenhang mit Veranstaltungen vor der Burg genutzt werden könnte – etwa mit dem Ziel, die Ruine als Kulisse zu nutzen oder aber diese einzubinden, beispielsweise bei Mittelaltertagen oder -festen (etwa mit seriösen Reenactment-Angeboten).
Der Blick in Richtung Tal sollte, entsprechend den Gegebenheiten im Mittelalter, nicht verbaut werden. Der Flächenbedarf und die Nutzungsmöglichkeiten wären zunächst einmal mit Berücksichtigung einer Rekonstruktion des Grabenabschnittes auf ganzer Länge entlang der freigelegten Burgmauer zu prüfen. Die vorliegenden baulichen Reste eignen sich meiner Meinung nach nicht für größere Teilrekonstruktionen von Mauerwerk, da es letztlich immer ein archäologisches Befundbild bleibt. Schutzdächer und -bauten würden den Charakter der Anlage zerstören, es bedarf also einer offenen, wetterfesten Sanierung des Mauerwerks, wobei nachträgliche Ergänzungen dezent, aber nachvollziehbar erkennbar gemacht werden sollten.
Die räumliche Nähe ermöglicht eine enge Wegeführung und Vernetzung zwischen dem St. Vither Museum (Geschichtsmuseum Zwischen Venn und Schneifel), dem touristisch stark frequentierten Ravel und der Burg. Aktuell zeigt sich für mich keine wirtschaftlich vertretbare und zukünftig erfolgreiche Alternative: Die Geschichte der Burg und die archäologischen Funde können nur in dem 200 Meter von der Fundstelle entfernt liegenden Museum präsentiert und dort mit der Geschichte der Region in einen Zusammenhang gesetzt werden. Die Durchsicht von über 10.000 Funden von Burg und Schloss Saarbrücken aus dem 9. bis 19. Jahrhundert hat letztlich nur etwa 30 Exponate ergeben, die tatsächlich ausstellungsrelevant sind.17
Schlecht erhaltene, für Laien oft undefinierbare archäologische Funde, haben im touristischen Sinne keinen Mehrwert, der eine Präsentation direkt an der Burg vertretbar machen würde – ungeachtet der ohnehin dafür nötigen teuren Sicherheitstechnik und der Kosten für die Einhaltung konservatorischer Standards. Die Hauptfundgruppe, Keramikgefäße bzw. -scherben, hat in der Regel nur für Fachleute eine Bedeutung, sind sie für alle anderen doch nur der ernüchternde Beleg, dass früher auch gegessen und getrunken wurde.
Im digitalen Bereich sehe ich aktuell zwei wesentliche Aufgaben:
1. Mit der Erfahrung von Joachim Zeune ließe sich mit modernen Softwarelösungen eine digitale Rekonstruktion der Burg und ihres unmittelbaren Umfelds wagen. Eine solche würde einen extremen didaktischen Mehrwert liefern und wäre als realitätsnahes, theoretisches Modell auch zukünftig eine fruchtbare Diskussionsgrundlage.
2. Außerdem könnte durch eine App (multimediale Applikation) die Burg mit der ganzen Stadt verbunden werden, um den Kontext zwischen Burg, Stadtmauer, Kirche, Markt und sonstiger mittelalterlicher Infrastruktur als sich bedingende Einheit eines Zentralorts nachvollziehbar zu machen. Sicherlich sollten auch Tafelpräsentationen die digitale Vermittlung ergänzen. Aufgrund der größeren Distanzen glaube ich aktuell nicht, dass darüber hinaus eine digitale Vernetzung der Klöster-, Kirchen- und Burgenlandschaft in Ostbelgien, ausgehend von der Burg St. Vith, finanziell realisierbar und sinnvoll wäre. Ein solches Projekt wäre eher eine Unternehmung, deren Potenzial für neue touristische Strukturen erst bei einer geeigneten finanziellen Ausstattung einzuschätzen ist.
Datierungen und Bauphasen werden kein breites Zielpublikum ansprechen. Welche Vermittlungsformen und Inhalte zu St. Vith passen,18 lässt sich vielleicht erst nach Abschluss der nächsten Grabungskampagne diskutieren. Eine Erzählung kann dabei von der Gegenwart, also beispielsweise der Entdeckungsgeschichte der Burg, ausgehen, um den Zugang zur Thematik möglichst aus dem eigenen Alltag zu ermöglichen, zumal die lange Epoche des Mittelalters für viele ein weitgehend unbekanntes Themenfeld darstellt.
1 Kurz „BI-BURG“ genannt, für „Bürgerinitiative Burg“ [https://bi-burg.be].
2 Der Forschungsstand wurde von den grundlegenden Arbeiten von Anton Hecking sowie Heribert Reiners und Heinrich Neu dominiert. Vgl. Anton Hecking, Geschichte der Stadt und ehemaligen Herrschaft St. Vith (St. Vith 1875; Nachdruck Brüssel 1977); Heribert Reiners, unter Mitarbeit von Heinrich Neu, Die Kunstdenkmäler von Eupen-Malmedy (Düsseldorf 1935; Nachdruck Düsseldorf 1982).
3 Vgl. Simon Matzerath/Guido von Büren, Steinerne Macht. Burgen, Festungen, Schlösser in Lothringen, Luxemburg und im Saarland (Regensburg 2020).
4 Vgl. Rainer Schreg, Bürgerwunsch Erhaltung: aktuell in Sankt Vith (Belgien). Blog Archaeologik, 11.10.2020 [https://archaeologik.blogspot.com/2020/10/burgerwunsch-erhaltung-aktuell-in-sankt.html].
5 Vgl. etwa den WDR-Beitrag von Heiko Jaeckel „Alte Burg in St. Vith freigelegt“ vom 2.6.2021 in der „Lokalzeit aus Aachen“.
6 Zuletzt überblicksartig und mit exemplarischen Ausblicken in die Burgenlandschaft Ostbelgiens: Andreas Kupka, Burgen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens – einige ausgewählte Beispiele, in: Guido von Büren/Alfred Schuler, Die Burg in der Ebene (Petersberg 2016), S. 369-379.
7 Vgl. Thomas Martin, Burgenromantik, Historismus und Moderne. Burgen und Schlösser des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Simon Matzerath/Guido von Büren (wie Anm. 3), S. 126-145.
8 Simon Matzerath, Burg und Renaissanceschloss Saarbrücken, in: Simon Matzerath/Guido von Büren (wie Anm. 3), S. 576-587.
9 Dezidierte Baurechnungen mit zahlreichen Details zum Verteidigungs- und Befestigungsbau sind (weiterhin lückenhaft) im Saar-Lor-Lux-Raum erst ab dem Spätmittelalter erhalten. Ausnahmen bilden etwa die außergewöhnlich gute Quellenlage zu Metz (Stadtbefestigung) oder zu den Burgen Dagstuhl, Nohfelden und Kirkel. Vgl. etwa Julien Trapp/Mylène Didiot, Défendre Metz à la fin du Moyen-Âge. Étude de l’enceinte urbaine (Nancy 2017); Hans-Joachim Kühn, Burgenbau in den Schriftquellen des SaarLorLux-Raumes. Kommentierte Edition zweier spätmittelalterlicher Baurechnungen aus den Burgen Dagstuhl und Nohfelden, in: Simon Matzerath/Guido von Büren (wie Anm. 3), S. 146-171.
10 S. Wolfgang Messerschmidt, Zweiter Abschlussbericht zur archäologischen Maßnahme St. Vith SV 20-01 (unpublizierter Bericht, März 2021), S. 57: „Die Auswertung der Keramik zeigt deutlich, dass Burg und Stadtbefestigung im 14. Jh. in einem Zuge errichtet worden sind.“
11 Vgl. ebd. S. 49, Tab. 2, Stelle 62 („12.-13. Jh.“).
12 Vgl. dazu Anm. 3 (verschiedene Beiträge). Zur Entwicklung des Burgenbaus am Niederrhein Stefan Frankewitz, 1.500 Burgen, Schlösser und Herrenhäuser im Rheinland. In: Guido von Büren/Alfred Schuler, Die Burg in der Ebene (Petersberg 2016) 12-41. Allein 300 Burgen („Motten“) im Wesentlichen des 11. und 12. Jahrhunderts konnten am Niederrhein nachgewiesen werden. Vgl. Reinhard Friedrich/Bernd Päffgen, Mittelalterliche Burganlagen in der Kölner Bucht und Nordeifel bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft IV/11 (Bonn 2007).
13 Im Gegensatz zu den rund 300 bekannten frühen Burganlagen im nördlichen Rheinland (vgl. Anm. 12) treten Benennungen von Burganlagen eben dort in den Schriftquellen erst ab dem 12./13. Jahrhundert in größerer Zahl auf – aufgrund der Überlieferungssituation bleiben sie aber noch weitgehend unvollständig (Achtung: die Begriffe „Haus“ und „Burg“ werden in den Schriftquellen teilweise synonym verwendet). Vgl. Stefan Frankewitz, Landesburgen, Burgen, Schlösser und Feste Häuser bis 1500 im Spiegel der Schriftzeugnisse. Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft IV/12 (Bonn 2007).
14 Dagegen hat sich an der Burg Vianden für die Bauphase „1170“ offenbart, wie wichtig eine breite Datenbasis bei Radiokohlenstoffdatierungen ist. Dort wurde diese Bauphase anhand eines einzelnen Radiokohlenstoffdatums definiert und musste jetzt aufgrund mangelnder weiterer Messproben zu Recht in Frage gestellt werden. Vgl. G. Ulrich Großmann, Burg Vianden, in: Simon Matzerath/Guido von Büren (wie Anm. 3), S. 330-341, hier S. 335-337.
15 Laut Türinschrift wurde das Haus Dhaem 1715 gebaut (oder umgebaut). Auf ein theoretisch älteres Datum könnten die Renaissance-Fenster hindeuten, hier also rechteckige, hohe Fenster, in Stein kreuzförmig unterteilt, so dass oben zwei kleinere parallele Verglasungen und unten zwei größere, ebenfalls parallele langrechteckige Verglasungen vorhanden waren. An der äußeren Chormauer der abgerissenen Pfarrkirche war ein Grabstein [mit Wappen] von Johannes Dhaem mit der Datierung 1638 eingebaut. Bei Reiners (wie Anm. 2) findet sich ein Foto des Hauses. Vgl. zum Familiennamen auch Hecking (wie Anm. 2), S. 79 (ff.).
16 Die genaue Geschichte von Fundstücken lässt sich nur bei professioneller Bergung und Dokumentation nachvollziehen. Vgl. zur Entdeckung einer „Veuglaire“ den Beitrag vom 25.5.2021 von Lorenz Paasch, Kanone der Burg St.Vith aus dem 14./15. Jh. in Luxemburger Museum wiederentdeckt! [https://bi-burg.be/wp-content/uploads/2021/05/210507-Kanone-der-Burg-St.-Vith-in-Luxemburger-Museum-wiederentdeckt.pdf].
17 Vgl. dazu Anm. 3 (verschiedene Beiträge).
18 Im Rahmen der Fachtagung hatte Dr. Pit Préporté auf den Multimedia-Guide im päpstlichen Palast von Avignon hingewiesen. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt der Audioguide auf der Burg Gravensteen in Gent, wo nur anekdotische Facetten von Lebenswelten im Zusammenhang mit persönlichen Geschichten aufgegriffen werden und die Tour konsequent als sehr skurriles, am Ende lustiges Comedy-Format aufgebaut ist.