BRF-Interview mit Prof. Dr. Andreas Fickers zum Symposium
„St.Vither Frühgeschichte wird neu geschrieben“
Zu den Gründungsmitgliedern der Bürgerinitiative Burg, die sich für den Schutz der Burgruine in St. Vith einsetzt, gehört Prof. Dr. Andreas Fickers. Der Historiker hatte schon vor der ersten Sondierungsgrabung im Juni 2020 die Vermutung geäußert, dass bei einem solchen Vorhaben die Erwartungen wohl übertroffen würden.
Dies wurde durch die ersten Funde bestätigt, so dass im Oktober umfassendere Grabungen durchgeführt wurden. Die Archäologen legten die Grundmauern eines Rundturms, eines Teils der alten Stadtmauer und eines größeren Gebäudes, vermutlich der eigentlichen Burg, frei. Auch der Burggraben war zu erkennen.
Prof. Dr. Fickers ist Direktor des Zentrums für zeitgenössische und digitale Geschichte an der Universität Luxemburg. Er hat die Initiative zu einem wissenschaftlichen Symposium über die archäologischen Funde in St. Vith ergriffen.
Im folgenden Interview erläutert er, warum diese Überreste der mittelalterlichen Befestigungen erhaltenswert sind.
- Was wusste man über diese historische Stätte, bevor die erste Sondierungsgrabung von der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Auftrag gegeben wurde?
Relativ wenig. Die schriftliche Überlieferung aus dem Hochmittelalter ist sehr spärlich. Es gibt lediglich zwei urkundliche Erwähnungen von St.Vith aus dem 12. Jahrhundert, die den Ort aber bereits als Marktplatz und Pilgerort erwähnen. Auch die historische Literatur zur mittelalterlichen Geschichte von St.Vith ist überschaubar. Auch heute werden ältere Werke, wie das von Anton Hecking aus dem Jahre 1875, als Referenz benutzt. Vieles bewegt sich hier aber im Bereich des vermuteten Wissens.
- Waren die Funde eine Überraschung oder eher eine Bestätigung dessen, was man schon wusste?
Die Funde sind mit Sicherheit eine große Überraschung – auch für die Fachleute. Zwar bestätigen sie die Annahmen von Reiners und Neu aus dem Jahre 1935, dass der auch im Volksmund bekannte Ortsteil „An der Burg“ tatsächlich auf mittelalterliche Befestigungen an dieser Stelle verweist, aber die Ausgrabungen korrigieren bzw. erweitern das historische Wissen über Standort und Ausmaß der Befestigungsanlagen erheblich. Die archäologischen Befunde von Dr. Messerschmidt deuten darauf hin, dass wir es bei der „Burg“ um einen rechteckigen Donjon mit abgerundeten Ecktürmen zu tun haben – einer Bauweise, die im 14. Jahrhundert typisch für Westeuropa ist. Wie genau sich diese Burg in die Stadtmauer mit ihren anderen Türmen einfügt, ist noch nicht genau geklärt.
- Welche Bedeutung hat die Fundstäte aus der Sicht der wissenschaftlichen Geschichtsforschung?
Für die historische Forschung bedeuten die Funde zweifelslos, dass die Frühgeschichte St.Vith neu geschrieben werden wird. Sowohl die Vorgeschichte der Burganlage in der Karolingerzeit als auch die Geschichte des Ausbaus der Befestigungsanlagen unter Limburger und Luxemburger Herrschaft im 14. Jahrhundert werden auf Basis der archäologischen Funde neu interpretiert werden müssen. Da sich archäologische Funde mittels unterschiedlicher Datierungstechniken relativ präzise datieren lassen, bieten sie die Möglichkeit, die spärlichen schriftlichen Quellen aus dieser Zeit mit neuer empirischer Evidenz zu ergänzen. Genau um diese Fragen wird es während des anstehenden Symposiums gehen.
- Derzeit werden die Ergebnisse der Grabungen von Oktober 2020 wissenschaftlich ausgewertet. Weitere Grabungen sind vorgesehen. Was ist dabei zu erwarten?
Das ist schwer einzuschätzen. Vermutlich werden die Grabungen entlang der Stadtmauer in beide Seiten ausgeweitet, wobei eventuell auch die Fundamente des im Katasterplan von 1828 noch gut sichtbaren „Clerfer Turm“ – einer der sieben Türme der Stadtmauer – freigelegt werden könnte. Ich vermute, dass auch „intra muros“ noch interessante Funde zu erwarten sind, die eventuell Rückschlüsse auf die Bewohnung der Burg zulassen werden.
- Kann die Arbeit der Archäologen weitere Erkenntnisse zur Geschichte von St. Vith und dem heutigen Gebiet der belgischen Eifel liefern?
Auf jeden Fall. Bislang war St.Vith zwar als Marktort mit entsprechenden Stadtrechten bekannt, aber die Einreihung des Ortes in die reiche Geschichte von bekannten Burgen im Luxemburger Land wird stadt- und architekturgeschichtlich neue Perspektiven eröffnen und auch die Rolle von St.Vith in der Region neu beleuchten. Ohne eine entsprechende wirtschaftliche oder politische Bedeutung der Stadt im 14. Jahrhundert wäre es wohl kaum zum Bau der aufwendigen und kostspieligen Burg- und Verteidigungsanlagen gekommen.
- Was bedeutet dies alles für Sie als Historiker und als St. Vither Bürger?
Ich freue mich sehr für unsere Stadt. Dank der Bürgerinitiative konnten wir das Interesse für diesen im wahrsten Sinne verschütteten Teil der St.Vither Geschichte wecken und sind nun guten Mutes, diesen geschichtsträchtigen Ort für die Zukunft erhalten und für touristische wie pädagogische Zwecke nutzen zu können. Damit hätte St.Vith nicht nur an neu erforschter Vergangenheit und damit historischer Identität gewonnen, sondern auch an Attraktivität und Anziehung für Einheimische wie Besucher der Stadt.
(Das Gespräch führte Guido Arimont.)